05/2023 | Einsichtsrecht der Schwerbehindertenvertretung in Bewerbungsunterlagen

Das Gericht führt hierzu in seiner Entscheidung u. a. aus:

    • „29 (2) Bewirbt sich ein schwerbehinderter oder gleichgestellter behinderter Mensch um eine Stelle, steht der Schwerbehindertenvertretung danach ein Unterrichtungs- und Anhörungsrecht zu. Die Entscheidung über Bewerbungen und die Begründung eines Arbeitsverhältnisses ist eine personelle Einzelmaßnahme und damit eine „Angelegenheit“ iSv. § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Sie berührt den Bewerber als einzelnen schwerbehinderten Menschen (BAG 19. Dezember 2018 – 7 ABR 80/16 – Rn. 22; 15. Oktober 2014 – 7 ABR 71/12 – Rn. 25, BAGE 149, 277; 17. August 2010 – 9 ABR 83/09 – Rn. 14, 20, BAGE 135, 207 zur Bewerbung auf eine Beförderungsposition).“
    • „34 (4) Nach § 178 Abs. 2 Satz 4 SGB IX hat die Schwerbehindertenvertretung bei Bewerbungen schwerbehinderter Menschen ua. das Recht auf Einsicht in die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen. Dieses Recht erstreckt sich auch auf die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen der nicht behinderten Bewerber, da nur so eine Vergleichsmöglichkeit für die Schwerbehindertenvertretung besteht (vgl. BAG 22. August 2013 – 8 AZR 574/12 – Rn. 36; Breitfeld/Strauß BB 2012, 2817). Damit soll die Schwerbehindertenvertretung die Möglichkeit haben, durch einen Vergleich der Qualifikation der Bewerber die benachteiligungsfreie Stellenbesetzung zu überprüfen.“

Im Folgenden stellt das Gericht auf die Entscheidungsrelevanz der Bewerbungsunterlagen ab.

  • „35 bb) Die Antragstellerin hat danach keinen Anspruch auf Vorlage der vollständigen dienstlichen Beurteilungen der einzustellenden Arbeitnehmer sowie der im Auswahlverfahren nicht berücksichtigten schwerbehinderten oder ihnen gleichgestellten Arbeitnehmer.“
  • „36 (1) Der Anspruch ist in Fällen wie dem Anlassfall allerdings nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil es an der „Bewerbung“ eines schwerbehinderten Menschen fehlt und die dienstlichen Beurteilungen deshalb nicht als „Bewerbungsunterlagen“ anzusehen wären. Zwar hat die Arbeitgeberin auf eine Ausschreibung der Stellen verzichtet und alle befristet beschäftigten Arbeitnehmer der TE V, die zum 30. November 2017 eine Beschäftigungszeit von zwölf Monaten aufwiesen, in ihre Auswahlentscheidung einbezogen, ohne dass diese sich beworben hatten. Nach dem Sinn und Zweck des Einsichtsrechts nach § 178 Abs. 2 Satz 4 SGB IX besteht dieses aber auch dann, wenn die Arbeitgeberin einen schwerbehinderten Arbeitnehmer als Bewerber behandelt, damit die Schwerbehindertenvertretung ggf. nach § 178 Abs. 1 SGB IX tätig werden kann.“
  • „37 (2) Dem Anspruch steht jedoch entgegen, dass es sich bei den dienstlichen Beurteilungen, deren Vorlage die Antragstellerin begehrt, nicht um entscheidungserhebliche Teile der Bewerbungsunterlagen handelt.“
  • „38 (a) Zwar hat der Arbeitgeber nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung grundsätzlich „umfassend“ zu unterrichten. In Bezug auf die Einsichtnahme in Bewerbungsunterlagen enthält § 178 Abs. 2 Satz 4 SGB IX jedoch die speziellere Regelung. Danach hat die Schwerbehindertenvertretung nur einen Anspruch auf Einsicht in die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen. Entscheidungsrelevant sind nur solche Unterlagen, die für die Auswahlentscheidung der Arbeitgeberin maßgeblich sind und die die Schwerbehindertenvertretung zur sachgerechten Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben für erforderlich halten darf. Hierzu gehören die begehrten vollständigen dienstlichen Beurteilungen jedenfalls dann nicht, wenn die Arbeitgeberin diese selbst nicht kennt und ihrer Auswahlentscheidung nicht zugrunde legt. So verhielt es sich in dem Anlassfall; der Arbeitgeberin lagen bei ihrer Auswahlentscheidung nicht die vollständigen in den Jobcentern unter Beteiligung der dortigen Schwerbehindertenvertretungen erstellten dienstlichen Beurteilungen für die zur Entfristung in Betracht kommenden Personen vor. Die Arbeitgeberin legte ihrer Auswahlentscheidung lediglich die Ergebnisse der jeweiligen Beurteilungen zugrunde. Diese hat sie der Schwerbehindertenvertretung bekanntgegeben. Die Schwerbehindertenvertretung erhielt dabei nicht nur Einsicht in das jeweilige zusammenfassende Gesamturteil, sondern in tabellarischer Form die jeweiligen Beurteilungsergebnisse zu den Kategorien Arbeitsqualität, Arbeitsquantität, Einsatz von Fachwissen, Sorgfalt/Gewissenhaftigkeit, Teamfähigkeit, Kundenorientierung, Belastbarkeit, Lern- und Kritikfähigkeit. Damit war die Schwerbehindertenvertretung auf demselben Kenntnisstand wie die Arbeitgeberin bei ihrer Auswahlentscheidung, sie befand sich insofern „auf Augenhöhe“ mit der Arbeitgeberin (vgl. zu diesem Kriterium Mushoff in Hauck/Noftz SGB IX Stand Dezember 2018 § 178 Rn. 53). Weshalb darüber hinaus die Vorlage der vollständigen dienstlichen Beurteilungen zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 178 Abs. 2 SGB IX erforderlich gewesen sein soll, ist nicht ersichtlich.“

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Beitrag: Johann Radlinger, 03/2021, aktualisiert 05/2023

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